Ein Teil von etwas Größerem

von Alan Medinger (USA)

 

Solange ich denken kann, habe ich mich „anders“ gefühlt. Viele – wenn nicht alle – Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen haben das unzählige Male gesagt. Diejenigen, die ihre Homosexualität rechtfertigen wollen, benützen dieses Argument um zu beweisen, dass sie homosexuell geboren wurden. Die aber, die sich ändern wollen, benützen es um nachzuweisen, dass etwas schief gegangen ist bevor sich die sexuelle Neigung erst entwickelt hat.

Wie auch immer, für diejenigen unter uns, die mit gleichgeschlechtlichen Neigungen zu tun haben, ist oben genanntes Argument eine der treffendsten Interpretationen, die wir von unserer Kindheit machen können. Wir neigen alle dazu, unsere gegenwärtigen Gefühle im Licht unserer Kindheit zu sehen, um unseren heutigen Leben einen Sinn geben zu können. Ich bin aber überzeugt davon, dass die meisten unter uns, deren gleichgeschlechtliche Neigungen sich früh entwickelt haben, dieses Gefühl des „Andersseins“ wirklich empfunden haben, und dass es eine treibende Kraft in unserer Entwicklung war.

 

Wie das Gefühl des Andersseins sich auf die Entwicklung auswirkt

Kinder versuchen, auf natürliche Weise zu lernen, wer sie sind, indem sie sich mit den Menschen ihrer Umgebung vergleichen, besonders mit den Gleichaltrigen. Wenn sich ein Kind anders fühlt, interpretiert er oder sie diesen Unterschied als ein Zeichen dafür, weniger wert zu sein. Die Verhaltensweisen und Einstellungen der Mehrheit bestimmen den Standard, und wenn einem Kind bewusst wird, dass es diesem Standard nicht gerecht wird, wird es sich minderwertig fühlen. Weil solche Minderwertigkeitsgefühle schmerzhaft sind, wird sich das Kind wahrscheinlich aus der Welt der Gleichaltrigen zurückziehen, um den Schmerz so gering wie möglich zu halten. Dementsprechend beginnt eine gewisse Isolation und das Kind wird vom sozialen Leben mit Gleichaltrigen, das das Wachstum prägt, ausgegrenzt. Diejenigen unter uns, die gleichgeschlechtliche Neigungen überwinden wollen, haben bereits bemerkt, dass unsere Trennung von Gleichaltrigen während der Kindheit uns schließlich daran gehindert hat, gesunde erwachsene Beziehungen aufzubauen und zu erhalten – die Art von Beziehungen, die wir brauchen, um die Homosexualität zu überwinden. Lasst mich erklären warum.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein isoliert aufgewachsenes Kind introvertiert und immer gehemmter wird. Ironischerweise führen diese Hemmungen zu weiterer Isolation. Wir neigen dazu, diese Hemmungen als etwas anzusehen, das zwar etwas unglücklich ist, aber moralisch neutral. Diese Hemmungen können aber schnell in Egozentrik ausarten und man ist schließlich nur mehr mit sich selbst beschäftigt, was letztendlich zum Narzissmus führt. Selbstverständlich will niemand – zumindest kein normaler Mensch – etwas mit egozentrischen oder narzisstischen Menschen zu tun haben, zumindest nicht für längere Zeit. Wer will schon mit jemanden zusammen sein, der die Welt und andere Menschen nur danach beurteilt, welchen Einfluss sie auf ihn oder sie haben? Viele haben gerne Freunde, die „anders“ sind, aber nur wenige wollen jemanden zum Freund, der nur mit sich selbst beschäftigt ist.

Eine weitere mögliche Folge der Isolation, die einen Menschen noch weiter von gesunden, lebenswichtigen Beziehungen abschneidet: isolierte Menschen beobachten die Welt um sie herum lieber als dass sie daran teilhaben und können dadurch leicht kritisch und zynisch werden und andere schnell beurteilen. Von ihrem Platz oben im Olymp urteilen sie über das gewöhnliche Fußvolk, das ihr Leben so lebt, wie es ihm natürlich erscheint. Wenn sie nicht schlau genug sind, diese Einstellung zu verschleiern, werden sie andere Menschen noch mehr verjagen.

Isoliert, mit sich selbst beschäftigt und mit einer sehr kritischen Geisteshaltung ausgestattet – ich habe Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen nicht gerade vorteilhaft beschrieben, oder? Natürlich hat nicht jeder Mensch mit gleichgeschlechtlichen Neigungen all diese Charakterzüge. Ebenso wenig haben sie nur Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen. Tatsächlich scheint Narzissmus eine wesentliche Plage bei vielen Menschen zu sein, die vom Weg abgekommen sind. Aber in meiner Tätigkeit habe ich diese Charakteristika bei hunderten von Männern und Frauen gefunden. Ich habe sie bei Menschen in unseren Gruppen entdeckt, in Beratungsgesprächen – und wenn ich in den Spiegel gesehen habe. Ich hätte das Parade-Beispiel für die Art von Mensch sein können, die ich oben beschrieben habe. Allerdings denke ich schon, dass ich dabei bin, diese Charakterzüge zu überwinden. Ebenso habe ich andere gesehen, die das geschafft haben.

Wenn wir uns einmal dazu entschieden haben, unsere Homosexualität zu besiegen, werden wir schnell feststellen, dass diese Denk-, Empfindungs- und Verhaltensmuster ein gewaltiges Hindernis für uns darstellen. Viele Fachleute gehen davon aus, dass Narzissmus – zumindest in seiner klinischen Form – unheilbar ist. Diejenigen unter uns, die darunter – in welcher Form auch immer – leiden, sind sich des Problems bewusst. „Ich muss versuchen, mich weniger mit mir selbst zu beschäftigen.“ Wir benützen die Selbstbeobachtung, um uns von der Selbstbeobachtung zu befreien,

Aber es gibt Hoffnung. Wir können unsere Minderwertigkeitskomplexe überwinden, ebenso die Tendenz, uns nur mit uns selbst zu beschäftigen sowie unsere kritische Einstellung. Die Schwierigkeit, die wir damit haben, gesunde Beziehungen aufrecht zu erhalten, hat unser Wachstum gehemmt – aber wir können uns ändern und wir können den Wachstumsprozess wieder aufnehmen.

 

Das Gegenmittel: Teil von etwas Größerem werden

Was geschehen muss, hat wahrscheinlich bei den meisten von euch schon begonnen. Vieles davon hat etwas damit zu tun, dass du anfängst, dich als ein Teil von etwas zu sehen, das größer ist als du. Das Prinzip des Ersetzens funktioniert hier. Wir ersetzen unser Bild eines autonomen, unabhängigen Menschen durch das Bild von uns als Teil von etwas Größerem.

Das ist mir zum ersten Mal vor einigen Jahren geschehen. Seit vielen Jahren gehöre ich charismatischen Kirchen an, was bedeutet, dass ich oft inmitten von Gläubigen bin, die Gott mit ihrem ganzen Körper anbeten. Wir preisen Gott nicht nur mit unseren Gedanken und mit unserem Mund, wir heben auch häufig unsere Hände gen Himmel, bewegen uns oder klatschen. Manche tanzen sogar. Man sollte also denken, dass die Zeit der Anbetung auch die Zeit ist, in der wir uns am meisten auf Gott konzentrieren. Nicht so bei mir. Wenn ich versuchte, Gott zu preisen, habe ich mich immer gefragt: „Soll ich jetzt meine Hände heben? Ganz nach oben oder nur halb? Ist mein Gesang in Ordnung? Singe ich falsch? Ich sollte jetzt nicht an mich denken, ich sollte mich mehr auf Jesus konzentrieren.“ Ich, ich, ich – bis zum Übergeben.

Durch Gottes Gnade habe ich dann eines Tages einen Weg gefunden, diese übermäßige Beschäftigung mit mir selbst in den Griff zu bekommen. Plötzlich fing ich an, mich nur als ein Teil von vielleicht 150 Menschen zu sehen, die Gott anbeteten. Ich sah das Ganze aus seiner Perspektive: Wie vom Himmel sah ich herab und entdeckte eine Gruppe von Menschen, die Gott priesen und anbeteten. Ich war Teil der Gruppe, aber ich hob mich in keinster Weise davon ab. Gott anzubeten war wunderbar und ich hatte kein Verlangen, mich auf mich selbst zu konzentrieren.

Ich habe mich weiterhin beim Lobpreis sowie in anderen Situationen, in denen sich meine Hemmungen wieder meldeten, so verhalten. Es funktioniert einfach überall. Wir geben uns selbst auf, indem wir uns als Teil von etwas Größerem als uns selbst sehen. Aber uns so zu sehen wie ich es gerade beschrieben habe ist nur eine Möglichkeit, wie wir uns von uns selbst befreien und mehr auf Gott und andere Menschen konzentrieren können. Lasst mich einige Methoden beschreiben, wie man diesen Prozess fördern kann:

 

1. Wiedergeboren werden

Ein Beispiel, wie Menschen die Verwandlung beschreiben: Sie zeichnen zweimal je drei konzentrische Ringe. Bevor wir Jesus als unseren Herrn akzeptieren, befinden wir uns im innersten Ring – die anderen sind unmittelbar um uns herum. Gott ist der äußerste Ring. Wir sind das Zentrum unseres Universums, sogar in unserem Verhältnis zu Gott.

Bei der Verwandlung nimmt dann Gott den Platz im Zentrum ein, andere sind im zweiten Ring und wir sind ganz außen. Wenn du also ein wiedergeborener Gläubiger bist, bist du schon aus diesem Zentrum herausgetreten. Du wirst immer wieder damit zu kämpfen haben, dich nicht wieder dorthin zurück zu begeben. Aber schließlich ist ein wesentlicher Bestandteil des Christseins, Gott auch Gott sein zu lassen. Spirituell jedoch hast du das Zentrum verlassen. Vergiss das nie.

 

2. Gib den Individualismus auf!

Das bedeutet nicht, deine Einzigartigkeit aufzugeben. Die nämlich wurde dir von Gott gegeben. Er hat dich anders geschaffen, als jeder Mensch, der jemals gelebt hat. Individualismus jedoch ist heutzutage Zeitgeist. Er ist sozial wie psychologisch zerstörerisch. Er fordert „meine Rechte, meinen Platz“. Bei einem vor kurzem stattfindenden Kirchentreffen hat mein Bischof über drei Phasen gesprochen, die wir durchlaufen, bevor wir reife Menschen werden: Als Babys oder Kleinkinder sind wir abhängig, als Heranwachsende oder Jugendliche sind wir unabhängig und als Erwachsene sind wir voneinander abhängig. Im Licht der Wahrheit,  nämlich dass Homosexualität eine Form der stehen gebliebenen Entwicklung ist, ist es nicht überraschend, dass viele Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen in der jugendlichen unabhängigen Phase gefangen sind. Gib sie auf!

 

3. Gib dein Recht auf dich selbst auf!

Dieser wunderbare Ausdruck wird etliche Male von Oswald Chambers in seinem christlichen Buch „My Utmost for His Highest“ verwendet. Das ist ein spirituelles Geschäft zwischen dir und Gott. Es ist ein Zurückkommen auf und eine Bestätigung dessen, was dir während deiner Verwandlung geschehen ist.

 

4. Vergiss nicht, dass du Teil eines Körpers bist!

Die Bibel hat eine derartig tiefgehende Botschaft für uns im 1. Korintherbrief 12:12-31. Ja, du bist anders! Aber anders heißt nicht minderwertig. In diesem Abschnitt spricht Paulus darüber, wie jedes Glied von Jesu Körper einen anderen Beitrag zum Ganzen leistet. Und das bedeutet nicht, dass ein Teil mehr wert ist als ein anderer. Genau dieses Prinzip gilt in jedem anderen Bereich unseres Lebens: in der Familie, im Beruf, der Nachbarschaft, in jeder Gemeinschaft von Menschen, mit denen wir in irgendeiner Form verbunden sind. Im Beruf sind manche Buchhalter, manche Vertreter, Büroangestellte, Vizepräsidenten, Fabrikarbeiter – aber alle sind wertvoll und alle können einen wichtigen Beitrag zum Ganzen leisten. Da wir in einer hierarchischen Welt leben, werden einige eine größere materielle Entlohnung erhalten oder ein größeres Ansehen für ihren Beitrag, aber als Gläubige wissen wir, dass jeder Teil des Körpers wichtig ist und seinen Wert hat.

 

5. Fange an, dich als ein Teil des Ganzen zu sehen!

Ich habe das getan, indem ich mich selbst bei der Anbetung angesehen habe. Aber in welchem Bereich auch immer – Familie, Kirche, Gemeinschaft – du kannst deine Vorstellungskraft nutzen, um dich selbst als Teil des großen Bildes zu sehen. Das ist eine Übung in Realismus. Sie führt uns von der verzerrten Perspektive, die wir von uns selbst als Zentrum des Universums haben zur genaueren und realistischeren Sicht von uns selbst als ein Teil von etwas, das größer ist als wir. Mache diese Übung, wann immer du in Kontakt mit anderen Menschen trittst. Tue es so lange, bis es deine natürliche Perspektive wird.

 

6. Setze dir ein Ziel, für das du eine Leidenschaft entwickeln kannst!

Das wird dich mit anderen Menschen verbinden und dir die Möglichkeit geben, dich eher auf ein Ziel als auf dich selbst zu konzentrieren. Du wirst eins mit denen, die dasselbe Ziel haben. In den Anfangsjahren von Exodus hat es vielen von uns Narzissten geholfen, leidenschaftlich unser gemeinsames Ziel – Einrichtungen aufzubauen, die Menschen helfen, ihre Homosexualität zu überwinden – zu verfolgen, und so über uns selbst hinaus zu wachsen.

 

7. Werde ein Teil der Gemeinschaft!

Springe über deinen Schatten und gehe auf andere Menschen zu. Alles, was du hierzu gerade gelesen hast, wird graue Theorie bleiben, wenn du nicht anfängst, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen.

Homosexualität ist ein Beziehungsproblem. Wir wachsen in Beziehungen. Wir können nicht wachsen, solange wir nicht unserer Ich-bezogenen Welt entfliehen. Uns selbst als Teil eines größeren Bildes zu sehen wird uns der Wirklichkeit näher bringen. Es wird uns frei machen, in der Welt von Männern und Frauen zu leben, aus der wir uns vor Jahren zurückgezogen haben. Der Welt, in der unsere Heilung weitere Fortschritte machen wird.

 

Du bist Teil von Gottes Schöpfung.

Akzeptiere es.